Madame Inflation

Von Hans Heimburger

Madame Inflation

Anstatt die galoppierende Inflation zu bekämpfen, flutet die EZB die Märkte weiter mit neuem Geld. EZB-Präsidentin Christine Lagarde wird damit zum Gesicht der neuen Inflation, der Druck auf sie wächst. Doch sie steckt in einem Dilemma.

Christine Lagarde ist zur größten Geldschöpferin der Geschichte geworden. Die Bilanzsumme ihrer Europäischen Zentralbank erreichte in der vergangenen Woche die Rekordsumme von 8,38 Billionen Euro. Seit Beginn der Corona-Krise ist sie in nur 21 Monaten um 3,6 Billionen Euro emporgeschnellt. Das heißt: Die EZB pumpt unter Lagarde, die seit zwei Jahren im Amt ist, jeden Monat 171 Mrd. Euro in den Markt, an jedem einzelnen Tag sind es 5,7 Mrd. zusätzlich.

Das löst nicht nur an den Aktien- und Immobilienmärkten einen wilden Spekulationsboom aus. Die Inflation erreicht inzwischen auch die Verbraucherpreise. Die deutsche Inflationsrate ist im Oktober mit 4,5% auf den höchsten Stand seit 28 Jahren gestiegen. Deutsche Sparer sorgen sich, und der Unmut in der Bevölkerung über weiträumig steigende Preise wächst. Aus der deutschen Politik mehren sich kritische Stimmen an der EZB-Politik. Selbst in der diskreten deutschen Finanzbranche warnen reihenweise Vorstände vor der aggressiven Geldpolitik der EZB.

Die DZ Bank hat sogar ausgerechnet, was Lagardes Geldpolitik die deutschen Sparer kostet: Einlagen, Rentenpapiere und Versicherungen werden in diesem Jahr um durchschnittlich 2,3% entwertet. Der dadurch entstehende Kaufkraftverlust des privaten Geldvermögens dürfte 116 Mrd. Euro betragen. Das seien rund 1400 Euro pro Kopf, mahnt Michael Stappel, Chefvolkswirt der DZ Bank.

Rückgang der Inflation dauert länger als gedacht

Lagarde hat die zusehends kritische Stimmung zum Wochenauftakt im Europaparlament zu spüren bekommen. Nachdem sie monatelang die Inflation als ein „kurzfristiges“, „vorübergehendes“, aus „Sondereffekten“ beruhendes Phänomen kleingeredet hatte, gestand sie vor den Parlamentariern die Fehleinschätzung ein, dass „die Phase erhöhter Inflation im Euroraum“ wohl mehr ist als nur eine Phase.

Im Umfeld der Bundesbank wird gemutmaßt, Lagarde handele aus politischen Motiven. Frankreich nehme Kurs auf die Präsidentschaftswahl 2022, da würde eine Zinswende nur stören. Erst nach der Frankreichwahl werde sie ihren Kurs ändern – das aber sei verantwortungslos für die Geldwertstabilität in Europa. In Frankfurt kursiert für Lagarde inzwischen der Spitzname „Madame Inflation“. Während die Fed in den USA die geldpolitische Wende bereits eingeleitet habe, weigere sich Lagarde vor jeder Straffung geldpolitischer Zügel. Eine Leitzinserhöhung sei, so Lagarde im Europaparlament, „nicht in Aussicht“.

Das Dilemma

Doch Lagarde steckt in einem Dilemma. Sollte sie die expansive Geldpolitik unverdrossen weiter betreiben, riskiert sie nicht nur ihr persönliches Ansehen, sondern eine vertiefte Inflation, Spekulationsblasen und am Ende eine Vertrauenskrise.

Sollte sie aber die Geldflut und Anleihekäufe stoppen, dann dürften die Zinsen steigen. Doch höhere Zinsen können sich weder die hoch verschuldeten Staaten leisten, noch sind sie gut für die gerade wieder anziehende Konjunktur in der Eurozone. Die Staatsschulden von Italien bspw. sind auf 2,7 Bio. Euro geklettert. Ein Zinsanstieg würde den Schuldendienst auf einen Schlag drastisch verteuern. Überall in Europa haben sich die Staaten während der Corona-Krise in neue Schulden gestürzt. So zog in Spanien die Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt von rund 95 auf etwa 125% an. In Griechenland liegt sie sogar bei 210%. Und das von Lagarde besonders behütete Frankreich meldet einen Rekordstand von 115%. Würde die EZB das Ruder schnell herumreißen, hätten diese Länder womöglich Probleme, sich frisches Geld zu günstigen Konditionen auf den Finanzmärkten zu beschaffen. Selbst eine neue Euro-Krise wäre nicht ausgeschlossen. Die Handlungsspielräume von „Madame Inflation“ werden kleiner, der noch vor zwei Jahren so angenehm reputierliche Präsidentinnensessel ist ein Feuerstuhl geworden.